05.07.17
Der Bayerische Polizeipräsident, Prof. Wilhelm Schmidbauer, und Theo Zellner, BRK-Präsident sind für Schutz und Hilfeleistung in Bayern verantwortlich. Im Interview miteinsatzbereit. sprechen sie über neue Herausforderungen für die Sicherheit, das Verhältnis der Organisationen zu einander und Weiterentwicklungen für die Zukunft.
1. Die Bayerische Polizei und das Bayerische Rote Kreuz haben bereits viele große Einsätze gemeinsam gemeistert. Was waren zum Beispiel beim G7 Gipel die wichtigsten Punkte für einen reibungslosen Ablauf?Zellner: Die wichtigsten Erfolgsfaktoren sind eindeutig Kompetenz, gegenseitiges Vertrauen und die Gewissheit, dass wir uns aufeinander verlassen können. Die Polizei muss wissen, dass wir in zweiter Linie mithelfen und umgekehrt müssen wir natürlich wissen, dass uns die Polizei die entsprechenden Hinweise gibt. Aber auch die Möglichkeit, sich gemeinsam auf die Herausforderungen vorzubereiten hat ganz entscheidend zum Erfolg des Einsatzes beigetragen
Schmidbauer: Was ich als Erfolgsfaktor erleben durfte, war die Zusammenarbeit in einem Vorbereitungsstab, in dem bereits zwei Jahre vor dem G7 Gipfel intensive Planungen stattfanden. Wir haben gemeinsam eine Gefährdungsanalyse erstellt, dann haben wir uns auf mögliche Szenarien geeinigt und die notwendigen Reaktionen durch Polizei sowie Rettungsdienste aufeinander abgestimmt. Zusätzlich gab es eine eng vernetzte Führungsstruktur mit entsprechenden Verbindungsbeamten auf beiden Seiten. Als gut eingespieltes Team konnten wir so auch auf die unvorhergesehenen Änderungen im Ablauf reagieren, wie die Absage von Präsident Putin oder das kurzfristig organisierte Weißwurstfrühstück zwischen Kanzlerin Angela Merkel und dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama.
2. In den letzten Jahren und besonders seit 2016 ist die Bedrohung durch Terror oder Amok stärker in den Fokus gerückt. Wo liegen bei diesen Einsätzen die besonderen Herausforderungen für Polizei und Hilfsorganisationen?Schmidbauer: In diesem Bereich gibt es zunächst Herausforderungen, die beide gleichmäßig treffen. Wir werden, beispielsweise im Unterschied zu einem G7-Gipfel, kalt erwischt. Die erste Herausforderung ist die mangelhafte Information. Die zweite Herausforderung ist das große Informationsaufkommen. Ich erinnere an den Amoklauf im Münchner Olympiaeinkaufszentrum, bei dem innerhalb von 3-4 Stunden 7.000 Notrufe eingegangen sind. Das Dritte ist das Kommunikationsproblem, dass die eingesetzten Kräfte, sowohl von Rettungsdienst als auch von Polizei, müssen koordiniert und auf demselben Informationsstand gehalten werden. Was soll aktuell gemacht werden und was genau so wichtig ist: was man nicht machen soll. Weil beispielsweise ein bestimmter Bereich noch nicht abgesichert ist. Und die letzte Herausforderung die ich erwähnen möchte, ist die Abstimmung zwischen den Einsatzleitungen auf Seiten der Rettungsdienste und auf Seiten der Polizei, die ganz eng und intensiv sein muss. Jeder einzelne Schritt muss genau definiert und in der Kommunikation ohne Unklarheiten festgelegt sein.
Zellner: Ja, die Lageeinschätzung ist letztendlich das Entscheidende. Deshalb sind wir zunächst auf die Polizei angewiesen, weil wir eine sichere Lageeinschätzung brauchen. Wie weit können wir überhaupt gehen? Nur so können wir die Sicherheit unserer Einsatzkräfte erhöhen. Das Zusammenwirken ist ein ganz entscheidender Faktor. Wir brauchen unbedingt eine funktionierende Kommunikation. Aber da sind wir auf einem sehr guten Weg.
3. Gibt es auf Grund der besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit der gestiegenen Terrorgefahr bereits Veränderungen und Anpassungen in Ihren Organisationen, zum Beispiel in der Ausstattung?Zellner: Die geänderte Bedrohungslage, hat dazu geführt, dass wir in Bayern bereits im vergangenen Jahr als erstes Bundesland sofort alle Mitarbeiter des Rettungsdienstes mit sogenannten Rebel-Sets ausgestattet haben. Diese Sets enthalten Material, um schweren Blutverlust zu stoppen und großflächige Verletzungen zu versorgen, zum Beispiel nach einem Bombenanschlag oder einer Schießerei. Wir legen jetzt Wert darauf, dass wir Schritt für Schritt unsere ehrenamtlichen Einsatzkräfte auf die neue Ausstattung schulen und deren Ausstattung entsprechend anpassen. Gleichzeitig müssen wir auch unsere Taktiken bei diesen neuen Schadenslagen anpassen. Verletzte Personen können nicht, wie früher, am Schadensort in Zelten versorgt werden, sondern müssen schnellstmöglich in umliegende Krankenhäuser gebracht werden, weil besonders bei terroristischen Attacken immer die Gefahr eines Zweitschlages besteht.
Schmidbauer: Die bayerische Polizei hat Konzeption, Ausrüstung und Fortbildung angepasst. Bei der Ausrüstung ganz konkret: Wir haben die bisher vorhandenen Unterziehschutzwesten ergänzt um ein weiteres ballistisches Paket, das auch dem Beschuss mit automatischen Kriegswaffen standhält. Das ist so schwer, dass es nur als Überziehpaket vorhanden ist. Es wird nicht im täglichen Dienst getragen, kann mittlerweile aber in jedem Streifenwagen mitgeführt werden. Wir sind gerade dabei, die Streifenfahrzeuge der bayerischen Polizei auch mit entsprechenden Schutzhelmen auszurüsten. Und auch wir haben die Streifenfahrzeuge mit den Rebel-Sets ausgerüstet, damit wir im Ernstfall Verletzte versorgen können.
4. Ein kurzer Blick in die Praxis bei einer besonderen Einsatzlage wie Terror oder Amok: In einem gesicherten Bereich befinden sich Verletzte. Wer darf den Bereich betreten, um den Verletzten zu helfen?Schmidbauer: Etwas vereinfacht dargestellt müssen wir aufgrund der besonderen Herausforderungen dieser neuen Szenarien Einsatzräume künftig in drei Zonen einteilen: in eine rote Zone, in der die Täter aktiv sind und noch Waffenanwendung stattfinden kann. Diese rote Zone ist ausschließlich der Polizei vorbehalten. Dort ist es unsere Aufgabe die Täter zu bekämpfen und dort ist es auch unsere Aufgabe als Polizei, Verletzte aus diesem Bereich heraus zu transportieren und zu übergeben. Dem schließt sich dann eine gelbe Zone an, in der zwar keine aktiven Kämpfe stattfinden, die Polizei aber noch nicht sicher sagen kann, ob alle Täter bereits unter Kontrolle sind. In diesem Bereich ist es Aufgabe der Polizei, dafür zu sorgen sämtliche Täter unter Kontrolle zu bringen, damit Klarheit herrscht und man den Bereich ohne Gefahren betreten kann. Während dieser Phase ist es ebenfalls Aufgabe der Polizei die Verletzten herauszubringen, hinein in die grüne Zone. Diese Zone ist ein abgesperrter Bereich, in dem die Rettungsdienste agieren, um dort beispielsweise ihre Verletztensammelstelle zu errichten. Das ist sozusagen das was wir im Idealfall anstreben.
Zellner: Ich bin Herrn Prof. Schmidbauer sehr dankbar, für diese Aussagen. Ich habe noch das Bild von Ansbach aus den Medien vor Augen, auf dem ein Rettungssanitäter zu sehen ist, der einen Verletzten versorgt und keine zwei Meter daneben der Rucksack des Attentäters liegt. Da kommen einem natürlich die schlimmsten Gedanken. Und von daher ist diese klare Regelung, die gerade vom Landespolizeipräsidenten angesprochen wurde eindeutig zu befürworten. Für uns gilt grundsätzlich, dass wir einen noch ungesicherten Bereich nicht betreten dürfen. Obwohl wir uns hier komplett einig sind, gilt es, selbst solche Dinge in der Praxis
zu üben.
5. Die Theorie und die Strukturen sind das Eine, die praktische Umsetzung das Andere. Sind gemeinsame Trainings zwischen BRK und Polizei geplant?Zellner: Ich bin sehr froh, dass wir das positiv beantworten können. Erst im September 2017 haben wir in Furth im Wald die Situation eines Gefahrgutunfalls gemeinsam, also Polizei und Rettungskräfte des Roten Kreuzes, durchgespielt. Dort haben wir einen Terroranschlag auf den dortigen Festplatz mit Schwerverletzten und besonderen Verletzungsmustern geübt. Es war auch ein Stabsarzt der Bundeswehr mit vor Ort, der spezielles Wissen umschwere Verletzungsmuster und die Versorgung von Patienten bei terroristischen Szenarien eingebracht hat. Der notwendige Prozess von gemeinsamen Übungen ist also im vollen Gange. Dazu kommt, dass mit der Unterstützung des Freistaats Bayern in der nördlichen Oberpfalz ein Übungs- und Simulationszentrum für besondere Einsatzlagen entstehen wird. Das ist etwas, was das Rote Kreuz schon länger im Auge hat. Angesichts der neuen Bedrohungsszenarien muss das Ganze in enger Zusammenarbeit mit und unter Ratschlägen der Polizei geschehen. Dafür ist bereits eine Arbeitsgruppe gebildet worden, in der sich die Polizeibehörde in besonderer Weise mit einbringt. Wir befinden uns derzeit in der Planungsphase, die bereits zu 100% durch den Freistaat Bayern finanziert ist. Danach wird man sehen was alles zu tun ist und wie das Zentrum komplett finanziert werden kann. Aber wichtig ist jetzt, dass die Konzeption aufgebaut wird. Und da werden wir von den Polizeibehörden bestens begleitet. Ich glaube ich darf auch sagen, Herr Prof. Schmidbauer, dass die Polizei dieses Zentrum auch sehr begrüßt. Denn das kann unsere Zusammenarbeit nur noch verbessern.
Schmidbauer: Ja, wir begrüßen es sehr, dass dieses Trainingszentrum gebaut wird. Wir arbeiten auch sehr gerne mit und ich glaube gemeinsam Konzeptionen zu erstellen, ist unser beider Pflicht. Nur dadurch können wir überhaupt zu Erfolgen kommen. Der Fortschritt ist aus unserer Sicht, dass dort die vorhandenen regionalen Übungen ergänzt werden um landesweite koordinierte Übungen, in denen die Polizei und Einsatzkräfte der Hilfsorganisationen, eventuell zusammen mit der Bundeswehr, besondere Einsätze trainieren können. Wenn zum Beispiel lebensnotwendige Versorgungsobjekte bei Großschadenslagen geschützt werden müssen oder der Schadensanfall nicht mehr durch Polizei und Hilfsorganisationen abgefangen werden kann.
6. Entscheidend für die Sicherheit der Bevölkerung ist ihr eigenes Verhalten. Wie muss man sich verhalten, um das Leben der Anderen und das eigene Leben bei einer terroristischen Lage oder einem Amoklauf bestmöglich zu schützen?Schmidbauer: Die Bitte aus Sicht der bayerischen Polizei ist ganz klar der Dreierschritt. Flüchten, Verstecken, Alarmieren. Natürlich muss man sich hüten pauschale, einfache Lösungen für jede Lebenslage anzubieten, aber ich glaube man sollte sich auch bewusst machen, was zu tun ist wenn man in einer derartigen Situation Gefahr läuft Opfer zu werden. Das Beste ist sich selbst zunächst aus der Gefahrensituation heraus zu bringen, indem man flüchtet. Zweitens sollte man sich verstecken, damit der Täter keine Einwirkungsmöglichkeiten mehr auf einen hat. Drittens sollte man Hilfe alarmieren, also den Notruf 110 oder 112 anrufen, um dort zu hinterlegen, was die Situation vor Ort ist. Denn die Einsatzzentrale ist nur so stark wie ihre
gesicherten Informationen.
Zellner: Das kann man im Grunde so stehen lassen. Ich könnte vielleicht noch anfügen, unbedingt den Anweisungen der Polizei zu folgen. Vielleicht auch: haltet Euch von solchen Szenarien fern. Denn das Problem der Gaffer - ich sage es jetzt mal so negativ-spielt auch in solchen Szenarien eine Rolle. Eine Empfehlung des Roten Kreuzes an die Bevölkerung ist, die Erste Hilfe Kurse wieder aufzufrischen. Man muss sich auf solche Szenarien einstellen und da gibt Erfahrungen auf denen wir aufbauen können. Wir sind hier in Bayern sehr gut auf die neuen Herausforderungen bei der Sicherheit vorbereitet und werden auch in Zukunft unsere Spitzenposition bei Schutz und Hilfe für die Menschen erhalten, damit vor allem das Leben normal weitergehen kann.