In Bayern und in ganz Deutschland herrscht in der Altenpflege ein eklatanter Fachkräftemangel. Nach Expertenschätzungen wird im Zuge des demografischen Wandels die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland von derzeit etwa 2,3 Millionen bis 2030 auf rund 3,4 Millionen steigen. Bereits jetzt herrscht ein gravierender Mangel an examinierten Pflegefachkräften. Ohne grundlegende Weichenstellungen wird rund eine halbe Million Stellen in der Pflege unbesetzt bleiben. Eine immer älter werdende Bevölkerung bei gleichzeitig rückläufigen Zahlen an Pflegefachpersonal: Der sich zuspitzende Personalmangel – besonders in der Altenpflege – hat sich zu einem flächendeckenden „Pflegenotstand“ verdichtet.
Das BRK warnt, dass der zwischenzeitlich landesweite Personalmangel sowohl in der stationären Altenpflege als auch in der ambulanten pflegerischen Versorgung bereits jetzt Versorgungsengpässe verursacht und zu deutlichen Versorgungslücken führt. Ambulante Pflegedienste können die Versorgung neuer Patienten wegen fehlender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Teil erst mit deutlicher Verzögerung aufnehmen. In stationären Pflegeeinrichtungen bleiben immer öfter – trotz langer Wartelisten – Plätze leer, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Versorgung und Pflege von Bewohnern fehlen. Pflegende Angehörige haben wegen des Personalmangels bei den Trägern Mühe, zu ihrer Entlastung entsprechende Tagespflegeplätze und Kurzzeitpflegeplätze zu finden. Die Lage ist ernst.
Daher richtet das BRK einen dringenden Appell an die Entscheidungsträger, die wachsenden Probleme rund um die Pflege, die Finanzierung von Ausstattungen im Hilfeleistungssystem sowie bürokratische Hürden schnell und pragmatisch anzugehen. „Wir geraten jeden Tag mehr unter Druck, unsere Aufgaben qualitativ und quantitativ zu bewältigen. Gleichzeitig werden die Probleme größer“, so der Präsident des BRK, Theo Zellner. Jeder 18. Arbeitsplatz in der Pflege bleibt heute unbesetzt. Es laufen zwei Prozesse gleichzeitig, die das Problem exponentiell und rasend vergrößern: Zum einen wächst der Anteil der älteren Bevölkerung und damit der Bedarf an qualifizierter Pflege, zum andern nimmt die Anzahl von jungen Menschen, die in die Pflegeberufe kommen, stetig ab.
Akquise von ausländischem Fachkräftepersonal
Daher ist die Problematik nur mit zusätzlichem, qualifiziertem ausländischen Personal zu bewältigen, denn der nationale Arbeitsmarkt kann den Bedarf nicht mehr decken. Mittels verschiedener Programme und Projekte sowie der Beauftragung von Recruiting-Organisationen wird laufend darauf hingearbeitet, das Personalkontingent im Pflegesektor aufzustocken. So gewinnen im Projekt „Triple Win" die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) qualifizierte Pflegefachkräfte aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und den Philippinen für Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege. Ein Rahmenvertrag mit der Schweizer Firma CARE zielt auf die Akquise von Fachkräften mit in Deutschland anerkannter Ausbildung auf den Philippinen. Dabei behält das BRK jedoch stets im Blick, dass nur in Ländern geworben wird, in denen kein Fachkräftemangel besteht.
Was den Eingliederungsprozess im Ausland akquirierter Pflegefachkräfte jedoch bremst, sind die von den deutschen Auslandsvertretungen und unseren Bezirksregierungen vollzogenen Prüfungsverfahren der Sprach- und Pflegequalifikation. So kann es in Bayern tatsächlich bis zu sechs Monate dauern, bis nur eine Eingangsbestätigung zur Anerkennung einer ausländischen Fachkraft vorliegt. Und zuvor benötigen schon die deutschen Botschaften und Konsulate sehr viel Zeit für die Anerkennungen.
Die bürokratischen Verfahren zur Anerkennung von Fachkräften im Gesundheitswesen mit einer im Ausland abgeschlossenen, gleichwertigen Qualifikation müssen bundesweit vereinfacht und deutlich beschleunigt werden. Das Bayerische Landesamt für Pflege soll als eine zentrale Stelle für die Gewinnung und Anerkennung ausländischer Pflegefachkräfte ausgebaut werden.
Wolfgang Obermair, stv. BRK-Landesgeschäftsführer
Strategien für die Zukunft
Die Suche nach Personal im Ausland bleibt dennoch nicht der einzige Weg aus der Krise. Es muss daran gearbeitet werden, dass das Pflegepersonal innerhalb der Gesellschaft eine bessere Anerkennung erfährt, als es heute der Fall ist. „Es muss uns allen daran gelegen sein, die Pflege insgesamt als natürlichen Teil unseres Lebensmodells zu begreifen, nur dann werden wir die heutigen Probleme morgen in den Griff bekommen können“, so BRK-Vizepräsidentin Brigitte Meyer. Eine Maßnahme, das Image der Altenpflegeberufe zu verbessern, wäre die Akademisierung der Pflegeberufe. Doch um tatsächlich mehr Auszubildende in die Altenpflegeberufe zu bringen und Absolventen dazu zu bewegen, sich für die Altenpflege und nicht für andere Einsatzfelder zu entscheiden, müssen weitreichendere Konzepte entwickelt werden. Auch muss bei der Finanzierung der schulischen und betrieblichen Pflegeausbildung etwas passieren.
Die pflegebedürftigen Menschen müssen entlastet werden, die Finanzierung direkt aus der Pflegeversicherung ist sinnvoll.
Brigitte Meyer, BRK-Vizepräsidentin
Dem Pflegenotstand entschlossen entgegentreten
Die Möglichkeiten von Verbänden, Trägern, Einrichtungen und Diensten, das Problem selbst anzugehen und eigene Lösungswege zu entwickeln, um so Personal zu halten oder zu gewinnen, sind zwischenzeitlich weitgehend erschöpft.
Auch die Ansätze, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Maßnahmen der Gesundheitsförderung zu stärken und zu fördern, oder Teilzeitbeschäftigung in Vollzeitbeschäftigung umzuwandeln, sind allein nicht mehr ausreichend. Vielmehr bedarf es umfassender struktureller staatlicher Maßnahmen für mehr Beschäftigungsverhältnisse in der Alten- und Krankenpflege. Vor allem aber brauchen wir jetzt ein Programm zur Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte sowie deren schnelle und unbürokratische Anerkennung.
Wer Menschen in die Pflegeberufe holen will, muss Anreize schaffen. Eine bessere gesellschaftliche Anerkennung und damit einhergehend eine Steigerung des Einkommensniveaus müssen weiterhin im Fokus bleiben.
Wir sprechen hier ganz klar von einem Pflegenotstand, dessen Lösung oberste Priorität für die Politik werden muss.
Brigitte Meyer, BRK-Vizepräsidentin
Ein erster Schritt, um diesen Pflegenotstand abzuwenden:
Die Installierung einer „Enquetekommission Pflege“, die in einem gemeinsamen, offenen Dialog mit der Freien Wohlfahrt, den Verantwortlichen aus Politik, den Kostenträgern, den Selbsthilfeverbänden und der Wissenschaft Lösungen erarbeitet. Im Fokus stehen alternative Formen und Methoden der Pflegeorganisation in der stationären Altenpflege, um gegebenenfalls mit einer „flexiblen Fachkraftquote“ eine hohe Qualität von Pflege und Betreuung sicherzustellen.
Mehr Fachkräfte, mehr Pflegevielfalt, weniger Bürokratie und eine attraktivere Ausbildung in den Pflegeberufen: Ansätze, die Pflegekatastrophe abzuwenden, sind vorhanden. Nun sind die Entscheidungsträger gefragt, die entsprechenden Weichen dafür zu stellen.