14.02.19
8.30 Uhr an einem Dienstag: Der Funkmeldeempfänger am Gürtel piept eindringlich. Die Integrierte Leitstelle schickt den Rettungswagen zu einer Hausarztpraxis, ein Patient mit Verdacht auf Darmverschlingung mit starken Bauchschmerzen muss in die Klinik. Wenige Sekunden später sitzt das Team im Wagen. Mit Blaulicht und Martinshorn fahren sie schnellstens und vorsichtig die zehn Kilometer bis zum Einsatzort.
In der Arztpraxis sitzt ein älterer Mann im Behandlungszimmer auf der Liege, daneben die Arzthelferin, die versucht, eine Infusion zu legen, um ein Schmerzmittel zu geben. Seine Schmerzen seien extrem stark, sagt der Mann, „acht von zehn“, also nahezu unerträglich, aber in Wellen kommend. Er sitzt aufrecht, er lächelt, er redet ganz ruhig und geht selbstständig in den Rettungswagen (RTW).
Auch die Rettungsassistentin schafft es nicht, ihm eine Infusion zu legen, der Mann hat kaum sichtbare Venen, die wegrollen, und selbst der behandelnde Hausarzt rät von einer Schmerzmittelgabe ab, denn auch er hatte bereits vergeblich versucht, dem Patienten eine Nadel zu legen. „Der hat so schlechte Venen, fahren Sie ihn einfach in die Klinik, die machen das dann schon." Die Assistentin fährt los, ab in die Klinik, der Notfallsanitäter bleibt beim Patienten hinten im Wagen. In der Notaufnahme begrüßt der Patient die wartenden Schwestern und den Arzt mit einem „Ja, bin schon wieder da“ und verabschiedet sich freundlich vom BRK-Team.
Gerade zurück in der Wache, der Wagen ist desinfiziert, wieder Alarm: Eine alte Dame mit massiven Atembeschwerden nach einer Bronchoskopie, also einer Spiegelung der Atemwege und der Lunge. Mit Blaulicht und Martinshorn geht es in Windeseile los, der Notarzt ist informiert, kommt fast gleichzeitig mit dem RTW an. Die alte Dame hat blaue Lippen und ihr Gesicht ist weiß, sie atmet in Angst viel zu schnell, es pfeift, wenn sie keuchend einatmet. Der Sohn informiert über die Bronchoskopie, die vor einigen Stunden in einer Praxis ambulant gemacht worden war, es gehe seiner Mutter seitdem immer schlechter. Sauerstoff wird angelegt. „Atmen Sie ganz ruhig ein und aus, und gaaaanz lange ausatmen, gleich geht es Ihnen besser.“ Das EKG wird angelegt, die Dame bekommt einen Venenzugang, die Notärztin beantragt per Funk einen Platz in der Intensivstation.
Zügig ab in den RTW, aber der Lift im Altenheim ist zu klein für eine Trage – mit dem Rettungsrollstuhl wird die schweratmende Seniorin ins Erdgeschoss gefahren und dort auf eine Trage umgelagert. Ihre Lippen, ihr Gesicht, sie werden immer blauer, der Blutdruck steigt immer mehr an, der Pulsschlag auch, es geht ihr gar nicht gut. Im RTW dann eine Gabe eines Medikaments, die Notärztin denkt an eine Lungenembolie. Sanitäter und Notärztin bleiben bei der Patientin an der Trage, mit großer Geschwindigkeit fährt der RTW Richtung Klinik – und bleibt plötzlich am Straßenrand stehen. „Die Klinik hat sich abgemeldet, kein Intensivbett frei. Wir müssen warten, bis wir wissen, wohin wir können.“ NEF und RTW warten zehn Minuten – und die sind nervenzehrend. Denn der Patientin geht es immer schlechter, sie bekommt kaum Luft, ihr Puls steigt dramatisch an und deshalb wird der Defibrillator vorbereitet. Die Angst, dass das Herz wegen eines Vorhofflimmerns aussetzt, ist groß.
Endlich per Funk die Nachricht: „Fahrt dorthin, da ist ein Intensivbett frei“. Über 15 Minuten dauert es, der RTW fährt auf der Autobahn so schnell er darf. Die Augen der Patientin sind ganz starr vor Angst, und das Team versucht, sie zu beruhigen, damit die Atmung nicht noch hastiger wird. Im Krankenhaus angekommen, kommt sie so schnell es nur geht in die Intensivstation, die Übergabe erfolgt, und zwei Ärzte und eine Intensivpflegefachkraft übernehmen die Patientin.
„Das war höchste Eisenbahn“, sagt der Notfallsanitäter. Es herrscht Erleichterung im Team. „Dieses Abmelden von Kliniken ist echt ein Problem, da steigt der Adrenalinspiegel an, das können Sie mir glauben!“. Immer häufiger geschieht es, dass die Notaufnahmen und Kliniken überlastet sowie voll belegt sind, und der Leitstelle melden, dass sie keine neuen Patienten mehr annehmen können. Immer längere Anfahrtswege sind die unmittelbare Folge – eine Situation, die sich noch verschärfen wird, wenn sich die Kategorien für Notaufnahmen ändern und manch eine Verletzung, manch eine Erkrankung dann nur mehr in eine dafür zertifizierte Notaufnahme gefahren werden darf.
Der nächste Einsatz wenige Zeit später geht in einen Kindergarten. Ein kleiner Junge mit einer Platzwunde am Kopf, er hat eine Sandkastenschaufel auf den Kopf geschlagen bekommen. Vor dem Kindergarten steht bereits das Auto der Helfer vor Ort, die den Kleinen bereits bestens versorgt haben. Mit einem Verband am Kopf kuschelt er sich in den Arm seiner Kindererzieherin. „Die Mama kommt gleich!“ Es gibt fürs BRK-Team nichts mehr zu tun, alles bestens, der Kleine war nicht ohnmächtig, ihm ist nicht übel oder schwindelig, er will jetzt nur noch zur Mama – „und die kann dann entscheiden, ob sie ihn ins Krankenhaus oder zum Arzt fährt.“ Gott sei Dank. Die Rettungskräfte sind froh, dass es dem Kleinen gut geht, gerade Einsätze für Kinder sind belastend.
In der Wache wartet das RTW-Team auf den nächsten Einsatz. Der Notfallsanitäter ist auch der Leiter des Rettungsdienstes und arbeitet am Schreibtisch in seinem Büro, die Rettungsassistentin macht sich ein Brot mit Käse und Salat. „Wir machen Brotzeit hier oder ab und an halten wir halt bei einem Supermarkt oder sowas, wenn es in den Zeitplan passt.“ Sie ist ehrenamtlich dabei, im Hauptberuf arbeitet sie in der Integrierten Leitstelle. „Ich mache lieber was Sinnvolles, als daheim rumzusitzen, die Kinder sind groß, deshalb bin ich zweimal pro Woche gerne im Dienstplan hier!“. Der hängt an der Wand, größtenteils gefüllt, aber einige Lücken hat er – auch hier herrscht Personalnot, erzählt der Leiter Rettungsdienst: „Du tust dir schon immer schwerer, die Schichten zu besetzen“. Das liegt zum einen an der allgegenwärtigen Personalnot, die auch vor dem BRK und seinen haupt-und ehrenamtlichen Kräften nicht halt macht. Zum anderen auch an der aktuellen Vergabepraxis: Rettungswachen werden nur für jeweils fünf Jahre ausgeschrieben – danach kann es sein, dass sie von einer anderen Hilfsorganisation betrieben werden – und diese Unsicherheit über die Zukunft macht es ebenfalls schwer, Personal zu bekommen. Vielleicht ändert sich daran bald etwas: Der Bayerische Innenmister Joachim Herrmann hat signalisiert, dass er eine Vergabe über zehn Jahre für deutlich sinnvoller hält – die Entscheidung darüber fällt aber immer der Zweckverband Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF).
Wie überall in Bayern sind die Notrufe unter der 112 auch im Landkreis München stark gestiegen, der Grund sind viele Fälle, bei denen die Menschen in die Notaufnahme gebracht werden möchten. „Fehlgeleitete Patientenströme“ heißt das in den Berechnungen. Die Integrierten Leitstellen treffen die Entscheidung, ob ein RTW geschickt wird oder der Patient an den ärztlichen Bereitschaftsdienst verwiesen wird. „Wir fahren immer, lieber einmal zu oft, als einmal zu wenig – auch wenn man etliche Fahrten dann umsonst macht“. (Wie die Fahrten verrechnet werden, Seite 13/14 in diesem Heft.) Viele Fälle gibt es nachts und am Wochenende, weil die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienst 116/117 noch nicht gut bekannt ist. Aber auch die demografische Entwicklung schlägt sich nieder: Immer mehr alte Menschen, die häufiger krank werden, brauchen den Rettungsdienst. In der Rettungswache rührt die Rettungsassistentin gerade in ihrer Kaffeetasse den Zucker um, als der Funkmeldeempfänger wieder piept: Die Feuerwehr wird zu einem Brandmelder in den örtlichen Stadtwerken gerufen, der Rettungsdienst kommt in diesen Fällen automatisch dazu. Gott sei Dank ist es ein Fehlalarm, nichts qualmt oder brennt, keine Verletzten. Das Team ist schnell wieder zurück in der Wache. Ein sogenannter nicht-abrechenbarer Einsatz ist das, genauso wie die Fälle, in denen der Patient sich weigert, mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus zu fahren.
Zwölf Stunden dauert eine Schicht, „man lernt schnell, dass es gut ist, eine Flasche Wasser bei sich zu haben, einen Müsliriegel – zum Essen kommt man an manchen Tagen kaum“, erzählt die Rettungsassistentin. Gibt es Situationen, in denen sich ärgert? „Selten. Wenn einen die Leute blöd anreden, mei, das lasse ich abperlen, und wenn sie keine Rettungsgasse bilden oder sowas, das nervt mich halt schon. Oder Gaffer, die lieber Fotos machen, als zu helfen, also da kriege ich dann schon einen Hals. Aber du kannst ja echt nichts dagegen machen, du kümmerst dich um die Patienten, und hast keine Zeit, so Handymenschen wegzujagen!“ Alles in allem aber sei es „ein Traumjob. Menschen helfen – das gibt einem einfach ein gutes Gefühl!“