Jenen zu helfen, die der Unterstützung bedürfen, um soziale Benachteiligung, Not und menschenunwürdige Situationen zu beseitigen, gehört zu den originären Aufgaben der weltweiten Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Großen Bedarf an solcher Hilfe gibt es in Bayern besonders seit 2015, als 890.000 geflüchtete Menschen in Deutschland Schutz suchten. Spätestens seit Rückgang der Zahlen ist das BRK anderweitig gefragt: für eine kontinuierliche Verbesserung der Situation Geflüchteter einzutreten. Das BRK ist hier ein Akteur, der die gesamte Prozesskette von Leistungen abdeckt - von der Ersthilfe bis hin zur Integration. Der Auftrag: Menschen Perspektiven geben.
Ankommen erleichtern: Wie sich das BRK bei der Ersthilfe für Geflüchtete engagiert
Als im Herbst 2015 via Ungarn Tausende von Flüchtlingen nach Deutschland kamen, hätten die Notfallpläne der Bezirksregierungen ohne die Hilfe der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des BRK nicht umgesetzt werden können. Insbesondere am Hauptbahnhof in München waren bis zu 500 ehrenamtliche Helfer täglich im Einsatz – und das über Wochen, sogar Monate hinweg. Den bemerkenswerten Erfolg dieser Anstrengungen fasst Emilia Müller, Bayerns Integrationsministerin, zusammen: „Im Herbst 2015 hat Bayern für ganz Deutschland eine Visitenkarte der Humanität abgegeben. Das ist uns durch das gute Zusammenspiel der Behörden, Rettungs- und Katastrophenschutzkräfte, Wohlfahrtsverbände und der vielen Ehrenamtlichen gelungen.“ Mit Tausenden von Einsatzstunden ermöglichten sie die Erstaufnahme der geflüchteten Menschen, halfen bei der Verpflegung, in den Unterkünften, in den Zügen und mit der Betreuung durch den Sanitätsdienst. Dazu zählte auch das Engagement in den im Herbst 2015 errichteten Warteräumen Feldkirchen und Erding. Letzterer steht mit einer Kapazität von 2.516 Personen seit Januar 2017 unter der Leitung des BRK und beherbergt derzeit ausschließlich Geflüchtete mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit.
Kaum angekommen, sehen sich viele Geflüchtete neuen Problemen gegenüber, deren Bewältigung mitunter keinen Aufschub erlaubt. Wer in den Wirren der Flucht seine Angehörigen aus den Augen verloren hat, den unterstützt der Suchdienst des Roten Kreuzes mit einem einzigartigen Angebot. Das „Trace the Face“-Projekt ermöglicht es Menschen, mittels einer Plakatsuche oder der Veröffentlichung eines Fotos von sich als suchende Person auf der Website des
IKRK nach Familienangehörigen zu forschen. Die Zahl der Anfragen steigt sprunghaft: Binnen zwei Jahren hat sich die Inanspruchnahme des Suchdienstes verdreifacht.
Nach der Erstversorgung: Fuß fassen, Perspektiven entwickeln
Sinkenden Flüchtlingszahlen stehen 2017 neue Themen gegenüber: Wo vor zwei Jahren die Erstversorgung am meisten Kapazitäten band, bildet heute die Integrationsarbeit den Schwerpunkt des Engagements. Eine Entwicklung, die auch die Bayerische Staatsregierung unterstützt: „Nun geht es darum, die Bleibeberechtigten zu integrieren. Auch das ist eine Aufgabe, die unsere gesamte Gesellschaft betrifft und für die wir einen langen Atem brauchen. Wohlfahrtsverbände und Ehrenamtliche sind auch hier unverzichtbare Partner für den Freistaat“, so Emilia Müller, bayerische Integrationsministerin. Die Integration stützt sich im Wesentlichen auf zwei Säulen: Mittels umfassender Angebote der Asylsozial- und Migrationsberatung werden Wege und Perspektiven entwickelt, Geflüchteten den Einstieg in die Gesellschaft zu erleichtern. Darüber hinaus soll ihnen durch Angebote zur gesellschaftlichen Teilhabe und durch psychosoziale Begleitung dabei geholfen werden, das Erlebte zu überwinden und schnell Fuß zu fassen.
Die Beraterinnen und Berater der Asylsozial- und Migrationsberatung geben Geflüchteten wieder Orientierung und klären über die Rechte und Pflichten in allen behördlichen Verfahren auf, insbesondere im Asylverfahren sowie im Ausländer- und Sozialrecht. Darüber hinaus koordinieren die Beraterinnen und Berater bei Bedarf Sprachkurse, medizinische Hilfe, Hilfe für besonders schutzbedürftige Personen oder Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr.
Für das Bayerische Rote Kreuz umfasst sein Auftrag zur Integration das Ziel, Flüchtlingen und anderen Migrantinnen und Migranten ein Leben in Würde und größtmöglicher Selbstständigkeit unter Anerkennung ihrer soziokulturellen Wurzeln zu ermöglichen. Integration bedeutet, eigene Potenziale für neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Neben Inhalten, wie Kinderbetreuung, Wohnungssuche und Gesundheitsversorgung, bilden Themen, wie Spracherwerb, Existenzsicherung, Bildung, Ausbildung, Arbeitssuche und die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen, die Schwerpunkte bei der bedarfsorientierten Einzelfallberatung. Jedoch werden hier die Beraterinnen und Berater immer wieder mit Erschwernissen konfrontiert, die den Integrationsprozess auszubremsen drohen. Daher lautet der Appell an die Verantwortlichen, für Geflüchtete den Zugang zum Arbeitsmarkt zu vereinfachen, insbesondere für junge Geflüchtete mit Bleiberecht berufsvorbereitende Maßnahmen auszubauen, mitgebrachte ausländische Berufsqualifikationen schneller anzuerkennen und Möglichkeiten der (Nach-)qualifizierung zu schaffen. Gerade junge Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchtete, die vor dem Start ins Erwachsenenleben stehen, brauchen Hilfe und Unterstützung im neuen Lebensumfeld. Die Jugendmigrationsdienste (JMD) des BRK kümmern sich speziell um diese Gruppe und bieten kostenlose Beratung, Begleitung und Bildung im schulischen, beruflichen und sozialen Bereich.
Integration: Ein Prozess, von dem alle profitieren
Die breit gefächerten Beratungsangebote des BRK bilden eine solide Basis, eine Startlinie, von der aus der Weg in die Gesellschaft beschritten werden kann. Neben Kursangeboten, die gesellschaftliche Teilhabe erleichtern, ist besonders der ehrenamtliche Einsatz unverzichtbar für die Bewältigung des Alltags in der neuen Heimat. In der Gemeinschaft Wohlfahrts- und Sozialarbeit bieten die Ehrenamtlichen Sprechstunden für Asylbewerber an, begleiten die Flüchtlinge zum Arzt und zu Behörden, helfen ihnen, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und den Verkehrsregeln zurechtzukommen, und unterstützen bei schulischen Themen. Für die meisten Flüchtlinge ist die Integration in den Arbeitsmarkt ein wichtiges Anliegen. Hier unterstützen Ehrenamtliche bei der Klärung vorliegender Qualifikationen und bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen. Sie begleiten die Flüchtlinge zur Arbeitsvermittlung, bereiten auf Vorstellungsgespräche vor und geben generellen Rat für das Arbeitsleben.
Insbesondere geflüchteten Kindern, die besonders stark unter den Auswirkungen der Flucht leiden, einen guten Start zu ermöglichen sowie beste Chancen für ihre weitere Entwicklung und spätere gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen, ist ein großes Anliegen der Integrationsarbeit des BRK. So gibt es im Bayerischen Jugendrotkreuz eine Vielzahl an Maßnahmen, wie Ausflüge, Veranstaltungen oder die Schaffung einer kindgerechten Umgebung, die Kindern und Jugendlichen den Alltag erleichtern und ihnen relevantes Wissen vermitteln sollen. Um Kinder mit Fluchterfahrung und meist traumatischen Erlebnissen kompetent betreuen zu können, hat das BRK eine Fortbildung für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt.
Darüber hinaus forciert das BRK den Aufbau einer neuen Kommunikationsstruktur zwischen bürgerlich initiierten Helferkreisen und der professionellen Integrations- und Flüchtlingsarbeit der BRK-Ehrenamtskoordinatoren mittels sogenannter Helferkreis-Koordinatoren/-innen, die als Bindeglied fungieren. Mit deren Unterstützung wurden beispielsweise im BRK-Kreisverband Landsberg am Lech innovative Projekte, wie die Fortbildung „Hilfe für Helfer“, ein Musikprojekt für Geflüchtete sowie die Ausbildung bereits gut Deutsch sprechender Flüchtlinge zu muttersprachlichen Traumahelfern, entwickelt.
Verantwortung gerecht verteilen
Das Begleiten der Geflüchteten, von denen viele inzwischen ihre Anerkennung erhalten haben, auf dem Weg zur Integration ist das große Thema auch für 2017. Geleistet werden kann dies jedoch nur mit einem flächendeckenden und bedarfsgerechten Ausbau der Asylsozial- und Migrationsberatung. Bayernweit werden derzeit rund 500 Asylsozialberatungsstellen in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege und in fünf Modellregionen mit Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) sowie teilweise durch die Kommunen/Landkreise gefördert. Dabei steuern die Wohlfahrtsverbände wie das BRK zusätzlich einen hohen Anteil an Eigenmitteln bei. Der Ausbau der Beratungsstellen kann jedoch nur erfolgen, wenn ihre Finanzierung verbessert und die Verantwortung unter den Trägern neu verhandelt wird
Der Bedarf an Asylsozial- und Migrationsberatung wird über die nächsten Jahr konstant hoch bleiben. Ohne eine stärkere staatliche Unterstützung können wir die Nachfrage an diesem Angebot nicht mehr bewerkstelligen.
Irene Marsfelden, Leitung der Abteilung soziale Arbeit im BRK
Die Dringlichkeit dieses Ausbaus unterstreicht die momentane Belastungssituation der Beraterinnen und Berater. Von ihren Schultern den Druck zu nehmen, daran muss mit allen Mitteln gearbeitet werden. Die Beraterinnen und Berater des BRK haben 2016 rund 17.000 Geflüchtete und deren Familienangehörige unterstützt, es fanden rund 57.000 Beratungskontakte statt. Eine Beraterin bzw.ein Berater betreute zwischen 150 und 300 Klienten. Eine Leistung, die nicht genug wertgeschätzt werden kann, aber auch mit Risiken verbunden ist - und das in zweifacher Hinsicht.
Die Beraterinnen/Berater nehmen tagtäglich Anteil an vielen schweren Schicksalen, die auch von den Beratern erstmal verarbeitet werden müssen. An vorderster Front sind sie zudem teilweise den Anspannungen bei den Betroffenen durch Frustration und psychischen Problemen besonders ausgesetzt.
Irene Marsfelden, Leitung der Abteilung soziale Arbeit im BRK
Die schiere Masse der Lasten muss nicht nur auf einige wenige, sondern auf viele Schultern verteilt werden. Und das geht nur mit einem flächendeckenden Ausbau der Beratungsstellen. Zudem dürfen auch Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, nicht ihrem Schicksal überlassen werden. Die mit den Ablehnungsbescheiden einhergehende und mit der Zeit größer werdende Verzweiflung bei den Betroffenen und die Angst jener, die noch auf eine Entscheidung warten, müssen abgebaut werden. Das geht nur, wenn ausreichend Mittel für die Unterstützung der Ehrenamtlichen vorhanden sind, die sich auch für Geflüchtete mit geringer oder ohne Bleibeperspektive engagieren. Für dieses Engagement muss endlich ein entsprechender Rahmen geschaffen werden. Gefragt sind Angebote wie Sprachkurse und Aus- sowie Fortbildungsmöglichkeiten, die auch Geduldeten, unabhängig von ihrer Herkunft, eine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Auch nicht anerkannte Geflüchtete müssen bis zu ihrer Abschiebung sinnvoll beschäftigt werden können.
Den Weg zur Integration ebnen
Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung bemüht sich in ihrer Tätigkeit, menschliches Leiden überall und jederzeit zu verhüten und zu lindern. Sie ist bestrebt, Leben und Gesundheit zu schützen und der Würde des Menschen Achtung zu verschaffen. Sie fördert gegenseitiges Verständnis, Freundschaft, Zusammenarbeit und einen dauerhaften Frieden unter allen Völkern. Tagtäglich füllen die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BRK diesen Grundsatz mit Leben.
Die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen des BRK haben in den letzten Jahren sehr viel für die Integration geleistet.Wir danken allen Kollegen, dass sie Barrieren durchbrechen und tagtäglich Integration ermöglichen.
"Brigitte Meyer, BRK-Vizepräsidentin
Wie kann Integration zu einer echten Erfolgsgeschichte werden? Nur, indem den Geflüchteten der Zugang zum Arbeitsmarkt vereinfacht wird, indem für junge Geflüchtete mit Bleiberecht das Angebot berufsvorbereitender Maßnahmen ausgebaut wird, indem mitgebrachte ausländische Berufsqualifikationen schneller anerkannt werden, indem Geflüchteten in größerem Umfang psychosoziale Betreuung ermöglicht wird und nicht zuletzt indem die Migrationsberatung durch mehr staatliches Engagement gestärkt wird. Denn Integration ist mehr als nur ein Auftrag, sie ist vor allem eines: eine Chance für unsere Gesellschaft.