Eine junge Frau, sichtlich angespannt, kommt zu Fuß zur Station. Ihre Hände zittern leicht, ihre Stimme klingt brüchig. Das Sanitätsteam reagiert ruhig und routiniert, bringt sie in einen Behandlungsraum, erhebt Vitalparameter und schreibt ein EKG. Alles nach Standard.
Die Einsatzkräfte bieten der Patientin an, eine Ärztin per Telemedizin zuzuschalten – ein Pilotprojekt, das das Bayerische Rote Kreuz in diesem Umfang erstmals bei einem Großevent dieses Umfangs erprobt. Die Patientin nickt dankbar und sichtlich interessiert: „Gerne.“
Beratung statt Blaulicht
Was folgt, ist ein eingespielter Ablauf: Über eine eigens eingerichtete Rufnummer wird die diensthabende Telemedizinerin verständigt, die im „Medical Center“ auf dem Gelände stationiert ist – in einem Container, rund 800 Meter Luftlinie entfernt. Dort ist ein Telemedizin-Leitstand eingerichtet, ausgestattet mit Webcam, Headset, Monitoren und der Kommunikationsplattform corpuls.mission.
Nach dem telefonischen Vorgespräch aktiviert die Ärztin die Videoverbindung über die App. Auf ihren Monitoren erscheint die Anforderung aus der Station – ein Klick, und die Verbindung steht. In der Erste-Hilfe-Station halten die Sanitäter ein eigens dafür eingerichtetes Smartphone bereit. Wenige Sekunden später erscheint das freundliche Gesicht der Ärztin auf dem Bildschirm.
Es folgt ein kurzes, ruhiges Gespräch. Die Ärztin schaut sich die übertragenen Vitaldaten und das EKG in Echtzeit an – keine Auffälligkeiten. Sie spricht mit der Patientin über Stress, über bekannte Symptome, über das Beruhigungsmittel, das sie kurz vor dem Besuch der Station eingenommen hatte. Ihre Empfehlung: abwarten, durchatmen, noch einige Minuten bleiben. „Geben Sie sich Zeit – Sie sind in guten Händen“, sagt sie.
Die Patientin wirkt spürbar erleichtert, bedankt sich. Das Team vor Ort bleibt noch bei ihr, die Ärztin verabschiedet sich. Die Videoberatung endet, das Smartphone wird beiseitegelegt.
Ein Pilotprojekt mit Weitblick
Was wie ein kurzer Routineeinsatz erscheint, ist tatsächlich ein bemerkenswerter Schritt nach vorn. Zum ersten Mal erprobt das Bayerische Rote Kreuz bei einem Festival dieser Größenordnung eine telemedizinische Infrastruktur zur ärztlichen Unterstützung nicht-zeitkritischer Einsätze in Erste-Hilfe-Stationen.
Wichtig: Die Telemedizin ist kein Ersatz für Notärzte, sie ist nicht Teil der taktischen Einsatzdisposition und ist nicht alarmierbar. Vielmehr handelt es sich um eine ärztliche Konsultation in Situationen, in denen ärztliche Expertise hilfreich scheint – aber keine akute Notfallversorgung erforderlich ist.
Über Art und Umfang der Beratung entscheidet die diensthabende Ärztin im Einzelfall. Ist ein Notarzt erforderlich, wird dieser selbstverständlich über die üblichen Wege angefordert und entsandt. Eine telemedizinische Delegation ärztlicher Maßnahmen findet ausdrücklich nicht statt.
Mehr Sicherheit durch weniger Bewegung
Das Ziel des Pilotprojekts ist klar: Fahrtbewegungen reduzieren, um die Sicherheit auf dem Gelände zu erhöhen. Denn auf einem Festival mit über 90.000 Menschen und vollem Betrieb zählt jeder Meter – für die Helferinnen und Helfer genauso wie für die Patientinnen und Patienten.
Dass das System funktioniert, liegt nicht zuletzt an der Technik: Die Firma GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple GmbH stellt die Telemedizin-App und EKG-Geräte zur Verfügung. Die Deutsche Telekom sorgt mit einem eigens eingerichteten 5G-Campus-Netz auf dem Veranstaltungsgelände „Rock im Park“ für stabile Datenverbindungen zwischen allen Einsatzabschnitten und dem Medical Center sicher und stellt Smartphones zur Verfügung. Beide Firmen unterstützen das Pilotprojekt vollumfänglich und damit kostenfrei.
Fazit: Die digitale Ergänzung funktioniert
Das Telemedizin-Pilotprojekt ist kein Ersatz für bewährte Strukturen, sondern eine Ergänzung – und ein möglicher Wegweiser für zukünftige Großveranstaltungen. Mehrere telemedizinische Beratungen über das Wochenende hinweg zeigen bereits: Die digitale Konsultation kann in vielen Fällen entlasten, beruhigen und professionell unterstützen.