Das BRK ist tief enttäuscht über das Pflege-Neuausrichtungsgesetz: Nach Vorlage des Referentenentwurfs zum Pflege-Neuausrichtungsgesetz übt das Bayerische Rote Kreuz harte Kritik: Die überfällige Pflegereform ist unterblieben. Die verantwortliche Politik geht innenpolitisch allen Problemen und der Lösung der wichtigsten Zukunftsfragen aus dem Weg. Das BRK fordert ein Pflegeministerium auf Bundesebene zur Bündelung aller Aktivitäten!
BRK-Präsidentin Christa Prinzessin von Thurn und Taxis und Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk bewerten den Entwurf als vollkommen ungenügend. Die Bundesregierung zeigt sich hilflos in Anbetracht der demographischen Herausforderungen und der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit. Der vorgelegte Entwurf ist eine glatte Fehlanzeige bei der Lösung der drängendsten Fragen nach der künftigen, nachhaltigen und Demographie sicheren Finanzierung der Pflege. Das ist fahrlässig. Das BRK fühlt sich von der Bundesregierung getäuscht, noch im November 2010 wurden schnell wirksame Verbesserungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch für die vielen engagierten Dienste und Einrichtungen und für die Träger versprochen. 2010 wurde sogar zum "Jahr der Pflege" erklärt. Diverse Pflegegipfel haben stattgefunden, die Politik hat aber das sichere Basislager nicht einmal verlassen, beklagt BRK-Präsidentin von Thurn und Taxis die Situation.
Konkrete Leistungsverbesserungen sollen nur in der ambulanten Pflege erfolgen und hier auch nur für die Pflegestufen I und II. Die Pflegestufe III geht auch bei der ambulanten Pflege leer aus. Nach Ansicht des BRK ist dies eine zu einseitige Leistungsverbesserung und berücksichtigt nur die Menschen, die noch Zuhause versorgt werden können und diskriminiert die vielen zig-tausend Senioren, die in den vielen bayerischen Alten- und Pflegeheimen stationär versorgt werden müssen. Ambulante Pflege stößt gerade bei gerontopsychiatrischen Veränderungen und dementiellen Erkrankungen schnell an ihre Grenzen. Angehörige sind mit der häuslichen Pflege Demenzkranker schnell überlastet. Aus selbstbestimmtem Leben in der eigenen Wohnung wird rasch Vereinsamung und führt meist auch zur sozialen Isolation, wenn der Pflegedienst nur zweimal am Tag minutenweise kommen kann.
In der stationären Pflege seien darüber hinaus seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 die Versicherungsleistungen in den Pflegestufen I und II nicht erhöht worden. Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk: "Wir wären froh, wenn wir wenigstens einen Inflationsausgleich erhielten. Stetig steigende Qualitätsstandards gibt es nicht länger zum Nulltarif. Weder ambulant noch stationär."
Das BRK kritisiert an der Vorlage für den neuen Gesetzentwurf besonders, dass die grundsätzliche Neuordnung der Pflegeversicherung weiterhin verschoben wird: "Die Einstufung der Pflegebedürftigen muss reformiert werden." Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk: "Es muss endlich der neue Pflegebegriff umgesetzt werden, hier liegen alle Daten und Fakten bereits vor. Die Pflege muss ganzheitlich auf den Menschen hin ausgerichtet werden und die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Senioren müssen gestärkt werden. Mit der Minutenpflege muss endlich Schluss sein. Eine Erweiterung der Pflegstufen ist dringend erforderlich." Die BRK-Präsidentin fasst zusammen: "Die Pflege leidet nicht unter einem Erkenntnisproblem, sondern am mangelnden politischen Willen und am politischen Mut, auch über unangenehme Dinge zu sprechen, wie zum Beispiel eine echte Beitragssteigerung für die Pflegeversicherung."
Die jetzt angekündigte Beitragserhebung zur Pflegeversicherung in Höhe von 0,1 Punkten deckt nach Einschätzung des BRK allenfalls minimale Leistungsverbesserungen für rund eine halbe Million dementiell erkrankter Senioren. Nach Angaben der Alzheimer-Gesellschaft sind aber bereits heute 1,2 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, wobei jährlich rund 300.000 neu Erkrankte hinzukommen. Stärk: "Mit dem vorgesehenen Etat für Leistungen für dementiell erkrankte Menschen wird die Zunahme der von dieser Krankheit betroffenen Senioren in keiner Weise angemessen berücksichtigt." Laut Experten wird sich die Zahl der an Demenz Leidenden binnen der nächsten 50 Jahre verdoppeln.
Thurn und Taxis bestätigt, dass das Bayerische Rote Kreuz vom Prinzip "ambulante Betreuung vor stationär" überzeugt ist und das mit 110 ambulanten Diensten landesweit engagiert unterstützt, doch dürfe nicht vergessen werden, dass ohnehin nur Menschen ins Pflegeheim ziehen, wenn es gar nicht anders mehr ginge. Pflegeheime müssen deshalb zu Orten des Lebens werden. Dies braucht angemessene Rahmenbedingungen. Mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz wird jedoch eine wertvolle Chance vertan. Eine substantielle Reform der Pflegeversicherung unterbleibt. Weitere Pflegeskandale und eine unzureichende Pflege können nach Leonhard Stärks Ansicht nach dann nur dann wirklich verhindert werden, wenn ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich um die Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Menschen angemessen kümmern könnten. "Immer wieder auftretende Pflegeskandale haben auch strukturelle Gründe und ihre Ursachen liegen nicht zuletzt an den unzureichenden Rahmenbedingungen. So gesehen ist die Politik an jedem Skandal mitverantwortlich. Und dieser Verantwortung muss sich die Politik auch stellen," so die BRK-Präsidentin und der für die Pflege zuständige Landesgeschäftsführer.