Das 2014 neu geschaffene Berufsbild des Notfallsanitäters hat die Notfallrettung qualitativ aufgewertet. Mit der Schaffung einer dreijährigen dualen Ausbildung an Lehrrettungswache, Klinik und Berufsfachschule wurde das theoretische Wissen und das praktische Können des nicht-ärztlichen Rettungsdienstpersonals verbessert. Dadurch wird die präklinische Versorgung von Notfallpatienten bis zum Eintreffen des Notarztes optimiert.
Notfallsanitäter-Gesetz unterscheidet in 1c- und 2c-Maßnahmen
Das Handeln des Notfallsanitäters wird im Notfallsanitäter-Gesetz (NotSanG) in zwei Handlungsebenen unterteilt: Maßnahmen, die in Abwesenheit des Arztes bis dessen Ankunft - weil der Notarzt bspw. eine längere Anfahrt hat - bei einem lebensbedrohlichen Zustand oder zu erwartenden Folgeschäden ergriffen werden dürfen. Hier darf der Notfallsanitäter zwar heilkundlich tätig werden und somit Maßnahmen, die eigentlich dem Arzt vorbehalten sind, vornehmen - er begibt sich allerdings in einen rechtlichen Graubereich und muss das Handeln mit dem "rechtfertigen Notstand" (§ 34 StGb) begründen. Diese Maßnahmen werden im Gesetzestext unter § 4 Abs. 2 Nr.
1 c NotSanG festgelegt und umgangssprachlich als "1c-Maßnahmen" beschrieben. Besonders problematisch wird es für den Notfallsanitäter, wenn eine offensichtliche Notarztindikation vorliegt (bspw. Herzinfarkt oder Reanimation), ein Notarzt aber in adäquater Zeit nicht verfügbar ist (bspw. wenn der Dienst nicht besetzt oder der Notarzt bei einem anderen Einsatz gebunden ist). In einer solchen Situation muss der Notfallsanitäter handeln, sonst verstirbt der Patient schlimmstenfalls. Der Notfallsanitäter handelt dann auch, muss aber damit rechnen, einer Strafbarkeit ausgesetzt zu sein. (siehe Grafik "Maßnahmen Erklärung" linke Spalte)
In Fällen, bei denen ein Notarzt nicht alarmiert und demnach für das Krankheits-/Verletzungsbild nicht notwendig ist, kann der Notfallsanitäter gem. festgelegter Vorgaben im Rahmen der 2c-Maßnahmen (§ 4 Abs. 2 Nr.
2 c NotSanG) heilkundlich tätig werden. In Bayern haben sich am 1. Dezember 2019 die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) auf einen Maßnahmenkatalog geeinigt, der flächendeckend im Freistaat bestimmten, isolierten Krankheits-/Verletzungsbildern die Ausführung bestimmter invasiver Maßnahmen und die Gabe
weniger Medikamente erlaubt.
© Bayerisches Rotes Kreuz, 2020
Ist allerdings ein Notarzt in absehbarer Zeit nicht verfügbar, weil dieser beispielsweise bei einem anderen Einsatz gebunden ist oder der Notarztdienst nicht besetzt ist, muss der Notfallsanitäter entscheiden: Notwendige, dem Arzt vorbehaltene (aber in der Ausbildung erlernte) Maßnahmen ergreifen und sich dadurch in rechtliche Erklärungsnot bringen, oder einen Patiententransport unter nicht adäquaten Bedingungen erwägen. Beide Möglichkeiten sind unbefriedigend, eben diese Maßnahmen hat der Notfallsanitäter in seiner Ausbildung erlernt und setzt diese verantwortungsbewusst und routiniert ein.
Bundesrat versucht Notfallsanitäter zu stärken
Diesen Umstand hält der Deutsche Bundesrat für untragbar und bringt eine Gesetzesinitiative ein, da die
"aktuelle Rechtslage [...] bei den Durchführenden des Rettungsdienstes und ihren Mitarbeitern (Notfallsanitätern) zu erheblicher Rechts- und damit auch Handlungsunsicherheit" führt und
"verunsichert nicht zuletzt aber auch die Patientinnen und Patienten" (Deutscher Bundesrat, Drucksache 428/19, S. 2). Diese Bundesrats-Initiative geht von den Bundesländern Bayern und Rheinland-Pfalz aus.
"Wir sehen uns in einer Situation, in der Abhilfe geschaffen und gehandelt werden muss."
Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk (Bayerisches Rotes Kreuz) und Landesgeschäftsführer Marc Groß (DRK LV Baden-Würtemberg)
Ärztevertreter fürchten Substitution des Berufsstandes
Gegen diese Initiative sind die Vertreter der Ärztekammern. Durch eine solche "Kompetenzenerweiterung" würde der "Berufsstand des Notarztes langfristig substituiert" werden. Weiterhin wird kritisiert, dass der Notfallsanitäter "die Situation nicht so gut einschätzen [kann] wie ein Arzt". Die Ausbildung sei "nicht so lang und umfassend". Stattdessen solle die "Rettungskette anderweitig optimiert und für mehr Notärzte gesorgt" werden.
Quelle: Stellungnahme der Landesärztekammer Baden-Würtemberg auf SWR-Aktuell Anfrage
Notarzt ist und bleibt unverzichtbarer Teil der Rettungskette
Dem ist nicht so. Der Notarzt ist und bleibt ein unverzichtbarer Teil der Rettungskette. Etliche Krankheits- und Verletzungsmuster sind nur mit notärztlicher Unterstützung suffizient präklinisch zu versorgen. "Da braucht es jede Hand und vor allem die klinische Expertise eines Arztes", so Dr. Florian Meier, stv. BRK-Landesarzt und seit über 20 Jahren als Notarzt tätig. Dadurch werde dem Notfallsanitäter nur der Handlungsspielraum eröffnet, auch adäquat helfen und heilkundlich behandeln zu dürfen, wenn ein Notarzt nicht zur Verfügung steht.
"Wer behauptet, Notfallsanitäter seien nicht gut oder umfassend genug ausgebildet, der verkennt den Alltag im Rettungsdienst. Notfallsanitätern aufzutragen, auf den Notarzt zu warten, ist fahrlässig. Oft hat der Notfallsanitäter diesen Entscheidungsspielraum gar nicht, denn es muss gehandelt werden. Dann wird gehandelt - im Interesse der Patienten, das ist die elementare Aufgabe des Notfallsanitäters."
Dr. Florian Meier / Stv. Landesarzt und seit 28 Jahren im Rettungsdienst und 20 Jahren als Notarzt aktiv.
Mit Ukulele und Uniform auf den Notarzt wartend
Felix Peter ist Notfallsanitäter und singt in seinem Lied "Der Krankenwagenbelademeister" von der fehlenden Rechtssicherheit in der Ausübung seines Berufes. "Würd’ Ihnen die Schmerzen ja gern nehm’, da kann ich Sie verstehn‘ - Doch danach lande ich vor Gericht" (Ausschnitt aus dem Song)
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