München, den 3. Mai 2016
Mit einer neuen Einsatztaktik und mit verbesserter medizinischer Ausstattung will sich das Bayerische Rote Kreuz (BRK) auf Anschläge durch den Terrorismus vorbereiten. Ein absolutes Muss dabei ist Erhöhung der Transportkapazitäten für verletzte Patienten und eine erweiterte taktische Ausbildung für Mitarbeiter im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. Gleichzeitig will das BRK überprüfen, ob die bisherigen Sondereinheiten der freiwilligen, dezentral organisierten CBRN(e) Gruppen, die Verletzte behandeln können, die mit giftigen Stoffen in Kontakt gekommen sind, aufgestockt werden müssen.
Wichtige Forderung: "Die Schnittstellenkommunikation mit der Polizei soll optimiert werden."
Anschläge in Paris und in Brüssel, auch der jüngste Anschlag in Essen auf die indische Religionsgemeinschaft zeigen, dass der Terror mitten in Europa angekommen ist. Dass es bei der Attacke in Essen keine Toten gab, war reine Glückssache. Dennoch ist der Anschlag in Essen ein Grund zur Sorge für das Bayerische Rote Kreuz.
"Wir verfolgen mit großer Aufmerksamkeit die Aussagen führender Politiker, die bereits seit langem vor einer Terrorgefahr in Deutschland warnen", kommentiert Theo Zellner, Präsident des BRK die Situation in Deutschland. "Es geht uns bei diesem sensiblen Thema nicht um Panikmache. Wir müssen uns als Hilfsorganisation zwangsläufig mit allen möglichen Szenarien beschäftigen.
Auch als stärkste Katastrophenschutzeinheit mit über 130.000 aktiven Helferinnen und Helfern stehen wir in einer besonderen Verantwortung für die Menschen in Bayern."
In den vergangenen Jahren hatte das Bayerische Rote Kreuz in seinen Konzepten zum Katastrophenschutz bei großen Schadensereignissen fest auf große Behandlungsplätze gesetzt. Dort können bei einem sogenannten Großschadensereignis Patienten bereits vor Ort medizinisch versorgt und betreut werden. "Nun müssen wir uns auf völlig andere Szenarien einstellen. Anschläge wie in Paris oder in Brüssel verlangen neue Konzepte. Möglicherweise stehen wir vor einem Paradigmenwechsel.
Deshalb hinterfragen wir derzeit mit unseren Experten die Themen Prävention, Alarmierung, Einsatztaktik und Ausstattung."
Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk hat dazu eine Arbeitsgruppe mit den Ärzten des BRK, dem Krisenmanager, den Vertretern des Rettungsdienstes, der Katastrophenschützer und dem Blutspendedienst einberufen. Die Gruppe muss unter anderem die Reaktionsmechanismen und die Ausbildung der Helfer überprüfen und neue Konzepte vorlegen, " so BRK-Präsident Theo Zellner.
Bei all der Fachkompetenz, die über die Jahrzehnte im BRK in Sachen Rettungsdienst und Katastrophenschutz entwickelt wurde, will man auch von den Erfahrungen der Bundeswehr profitieren. Generell will man die zivil-militärische Zusammenarbeit vorantreiben. Dr. Florian Meier, Leitender Notarzt und stellvertretender Landesarzt: "Wir stehen in gutem Kontakt mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr. Dort hat man zum Beispiel viel Erfahrung bei gefährlichen Einsätzen in Afghanistan gewonnen und weiß daher genau, wie sogenannte taktische Rettungen unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden können."
Weiter erklärt Dr. Meier: "Wir müssen unsere Mitarbeiter im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz auf die neue Situation vorbereiten und schulen.
Es kann passieren, dass der "normale Retter", sich plötzlich in einem Szenario wiederfindet, das wir nur aus Bildern im Fernsehen kenn. Deshalb auch ein wichtiger Punkt: Die medizinische Ausstattung muss ergänzt werden."
Für den Rettungsdienst und die Katastrophenschutzeinsätze gibt es zwar eigene Schulungen für besonders schwierige Einsätze, aber wie eine Rettungsaktion zum Beispiel nach einem Bombenattentat durchgeführt werden muss, wird in der Regelausbildung nicht entsprechend breit geschult. "Bei der Bundeswehr gibt es das alles bereits."
Während im Falle eines Anschlags in den Ballungszentren München und Nürnberg die Kapazitäten des Rettungsdienstes, ergänzt durch die ehrenamtlichen Schnelleinsatzgruppen, ausreichen - rund 300 bis 400 Rettungskräfte sind dort schnell zu aktivieren, sind es die ländlichen Regionen, für die im Katastrophenfall Vorsorge zu treffen ist.
Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk: "Aufgrund der besonderen ländlichen Strukturen und der geringeren Kapazitäten durch den Rettungsdienst sind wir hier besonders auf ehrenamtlichen Hintergrunddienste angewiesen." Dafür sind die Katastrophenschützer des Bayerischen Roten Kreuzes seit vielen Jahren gut ausgebildet, es gab in der Vergangenheit große Einsätze, wie zum Beispiel den G 7 Gipfel. Hierfür wurden rund 1.500 Einsatzkräfte neu ausgerüstet und fortgebildet. Doch nun muss angesichts der neuen Bedrohung vieles noch einmal auf den Prüfstand. Dr. Meier: "Das Prinzip "load an go", also einladen und wegfahren, wie es seit Jahrzehnten beim Rettungsdienst der Partnerorganisation in Israel üblich ist, könnte nun auch in Bayern bei einem Anschlag zur Anwendung kommen." Dazu braucht es allerdings besonders für die ländlichen Regionen mehr Transportkapazitäten, um die Patienten schnell in die umliegenden Krankenhäuser bringen zu können. Der Präsident: "Wir sind gezwungen, uns an die neue Situation anzupassen.
Wir brauchen neue Fahrzeuge im Katastrophenschutz, spezielle Krankentransportfahrzeuge für mehrere Personen, um die Patienten schnell aus der Gefahrenzone transportieren zu können."
Ferner will das BRK seine CBRN(e) Gruppen möglicherweise aufstocken, deren Spezialisten, dezentral in 11 Landkreisen stationiert, im Ernstfall Patienten behandeln können, die mit "schmutzigen Bomben" mit gefährlichen Substanzen in Kontakt gekommen sind.
Mit Nachdruck fordert der Präsident dazu auf, die Hilfsorganisationen von dem neuen Informationssystem GeoKAT, das die Bayerische Staatsregierung erst kürzlich entwickelt hat, nicht auszuschließen. "GeoKAT ist zentrales Werkzeug zur Koordination und Organisation von Einsätzen in Katastrophenfällen. Mit ihm können wichtige Informationen in kürzester Zeit abgerufen werden.
Zum Beispiel: Befinden sich im gefährdeten Gebiet Schulen, Kindergärten oder Altenheime, die evakuiert werden müssen? Alles das sind Informationen, auf die unsere Katastrophenschützer angewiesen sind." Darüber hinaus wünscht sich das BRK eine Verbesserung in der Schnittstellenkommunikation mit der Polizei. "In der Silvesternacht war das nicht optimal gelaufen."
Zahlen und Fakten:
Statistik der Katastrophenschutz-Fälle in Bayern 1993- 2015:
- 111 Katastrophen (1998, 2001, August 2004, 2013 diverse Hochwasser, 2005: Einsturz der Eissporthalle Bad Reichenhall, Schneekatastrophe in Ostbayern, Explosion in Lehrberg 2005, 2015 Sägewerkbrand im Landkreis Hof)
Rettungskräfte im Katastrophenschutz
? 130.000 Helfer Einsatzkräfte BRK insgesamt Fachdienste im Katastrophenschutz
? 190 Schnelleinsatzgruppen mit bis zu 10 Rettern spezialisiert auf medizinische Behandlung,
Transport, Verpflegung und Betreuung, Technik, Information-Kommunikation, Rettungshundeführer, darunter die Bergwachteinheiten und Wasserretter.
Spezialgruppen zur Dekontaminierung gefährlicher Stoffe
- Die BRK-Spezialisten der CBRN(e) sind speziell geschult und ausgerüstet für Einsätze mit Giftstoffen und anderen gefährlichen Substanzen. Sie können bei allen Unfällen mit chemischen, biologischen, radiologischen, nuklearen und explosiven - in der Expertensprache CBRN(E) Ereignissen - eingesetzt werden. Trotz ihrer ehrenamtlichen Strukturen sind die Gruppen innerhalb von 30 Minuten einsatzfähig, sie sind die einzigen, die für diesen Fall entsprechend ausgerüstet sind.
Die erste Sondereinheit der CBRN(e) wurde vor knapp 30 Jahren im Kreisverband Cham entwickelt. Ausschlaggebend für die Gründung dieser Sondereinheiten war der verheerende Unfall eines Lastwagenfahrers, der unbekannte Giftstoffe geladen hatte.
Mittlerweile wurde die Bedeutung der Sondereinheiten CBRN(e) erkannt. Bereits im Rahmen der Fußball WM investierte der Freistaat Bayern in Sonderfahrzeuge für die Ehrenamtlichen. Das BRK unterhält als einzige Hilfsorganisation dezentral an 11 Standorten ehrenamtliche Gruppen mit 220 Mitarbeitern zur Dekontaminierung.