Im Mittelpunkt einer zukunftsorientierten Pflege im Alter steht für das Bayerische Rote Kreuz (BRK) die Behebung des Pflegekräftemangels. Dies wurde beim PflegeForum des BRK am 19. April in Weiden i.d.Opf. deutlich.
Der Mangel an Pflegekräften sei in den Einrichtungen des BRK kein Zukunftsszenario, sondern tägliche Realität, sagte die Vizepräsidentin des BRK, Brigitte Meyer. „Aus unserer Sicht ist es eine gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, in der Bundesrepublik Deutschland, einer der wohlhabendsten Nationen, die Versorgung, Betreuung und Pflege der Älteren und Pflegebedürftigen angemessen sicherzustellen“, so Meyer.
„Wenn es nicht gelingt, den Mangel an Fachkräften in der Pflege zu beheben, steuern wir auf eine Pflegekatastrophe zu“, erläuterte der stellvertretende Landesgeschäftsführer des BRK, Wolfgang Obermair. Er schlug eine „Enquetekommission Pflege“ vor, die in einem gemeinsamen, offenen Dialog der Freien Wohlfahrt, der Verantwortlichen aus Politik, Kostenträgern, der Selbsthilfeverbände und der Wissenschaft Lösungen erarbeitet. Insbesondere gehe es um alternative Formen und Methoden der Pflegeorganisation in der stationären Altenpflege, um gegebenenfalls mit einer „flexiblen Fachkraftquote“ eine angemessene Qualität von Pflege und Betreuung sicherzustellen. Obermair schlug auch vor, höher qualifizierte Mitarbeiter mit einem höheren Faktor auf die Fachkraftquote anrechnen zu können. Außerdem müssten die Möglichkeiten einer Entbürokratisierung der Pflege ausgeschöpft werden, um zum Beispiel bei externen Qualitätsprüfungen den tatsächlichen Pflegezustand der Bewohner zu bewerten und nicht Formulare, Checklisten oder Zimmergrößen.
Es ist nicht fünf vor Zwölf, es ist ein Uhr!
Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml versicherte, dass ihr Ministerium den Pflegeberuf attraktiver gestalten wolle, um für diese wichtige Aufgabe künftig mehr Menschen zu gewinnen. „Ein wesentlicher Punkt dabei ist die Bezahlung nach Tarif. Wir setzen uns daher auf Bundesebene dafür ein, einen flächendeckenden Tarifvertrag für die Pflegekräfte im ambulanten und stationären Bereich zu erreichen“, so Huml. Einen eindringlichen Appell, mehr für die Gewinnung von Pflegekräften zu tun, richtete eine Pflegedienstleitung an die Ministerin. „Es ist nicht fünf vor Zwölf, es ist ein Uhr“, sagte sie. Pflegekräfte bräuchten mehr Zeit für die Bewohner und Patienten und weniger Druck durch pflegefremde Tätigkeiten. Die Bezahlung sei nur ein Aspekt, die Rahmenbedingungen müssten insgesamt verbessert werden.
Einheitliche Pflegeausbildung – mehr Bezahlung
Neben der Gewinnung von ausländischen Pflegekräften benannte Obermair bei dem PflegeForum Strategien für die Zukunft. „Wichtige Schritte zur Schaffung einer einheitlichen pflegerischen Ausbildung sind das Pflegeberufegesetz ab dem Schuljahr 2020/2021 sowie der Ansatz der Akademisierung der Pflegeberufe mit dem Ziel, das Image der Altenpflegeberufe zu verbessern.“ Doch um tatsächlich mehr Auszubildende in die Altenpflegeberufe zu bringen und Absolventen dazu zu bewegen, sich für die Altenpflege und nicht für den Krankenhaussektor zu entscheiden, müssten weitere Maßnahmen ergriffen werden, auch eine bessere Bezahlung. Die Finanzierung der schulischen und betrieblichen Pflegeausbildung müsse durch den Ausbildungsfond im Pflegeberufsgesetz verbessert werden.
Krankenkassen müssen Medizinische Behandlungspflege bezahlen
Thomas Petrak, Vorsitzender des Beirats Soziale des BRK, erläuterte, dass in einem Altenheim durch Urlaub, Fortbildungen, Dokumentationsaufwand, Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, Dienstübergabe und ähnliches einer Pflegekraft nur etwa die Hälfte der Arbeitszeit für die Zuwendung zum Bewohner zur Verfügung stehe. Er erläuterte, dass auch die medizinische Behandlungspflege an Bedeutung gewinne, weil sich die Verweildauer in Krankenhäusern stark reduziert habe und Bewohner mit vielfältigen Krankheitsbildern in den Einrichtungen zugenommen hätten. Wenn die im Koalitionsvertrag angekündigten 8.000 neuen Stellen für die medizinische Behandlungspflege aus Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen bezahlt würden, könnte das die Pflege entlasten, ohne sich auf die Kosten für den Heimplatz auszuwirken.
Pflegeministerin Huml erläutert Pflege-Pakt der Staatsregierung
Pflegeministerin Huml erläuterte beim PflegeForum in Weiden vor allem das Pflege-Paket der Bayerischen Staatsregierung. Es bringe für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige deutliche Fortschritte. “Mit dem Landespflegegeld in Höhe von 1.000 Euro jährlich unterstützen wir Menschen, die in Bayern leben und mindestens Pflegegrad 2 haben. Damit können sie zum Beispiel Angehörigen eine materielle Anerkennung zukommen lassen oder sich selbst etwas Gutes tun.“ Der Verwaltungsaufwand solle möglichst gering gehalten werden. Unterstützung erhofft sich die Ministerin auch von einem eigenständigen Landesamt für Pflege im oberpfälzischen Amberg. Aufgaben, die bisher auf verschiedene Stellen verteilt seien, würden effektiv gebündelt, damit die Hilfe besser bei den Menschen ankomme. Die Gründung sei für Sommer 2018 vorgesehen. Wichtig sei auch das vom Kabinett beschlossene Fünf-Millionen-Euro Programm für mindestens 500 neue Plätze für die Kurzzeitpflege in Bayern. „Nur der Mix aus verschiedenen Angeboten sichert auch zukünftig eine hochwertige Pflege und ausreichende Kapazitäten“, so Huml. Zentral seien auch in Zukunft stationäre Pflegeeinrichtungen als Kompetenzzentren in den Wohnquartieren. Die tausend neuen Pflegeplätze mit einer Förderung von insgesamt 60 Millionen Euro sollen dort entstehen, wo innovative Konzepte im Zusammenspiel von ambulanter und stationärer Pflege entstünden.
Pflege-Pakt lässt noch viele Fragen offen
Obermair begrüßte das neue, mit einer halben Milliarde Euro, ausgestattete, „Pflege-Paket“ der Bayerischen Staatsregierung. Es werfe jedoch noch einige Fragen auf. So schlage das BRK vor, das zukünftige Landespflegegeld nicht „mit der Gießkanne“ zu verteilen, sondern den tatsächlichen Bedarf zu berücksichtigen. Die Pflegestärkungsgesetze II und III hätten die Leistungen für die ambulant versorgten Pflegebedürftigen deutlich verbessert, nicht jedoch die der stationär versorgten. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Alten- und Pflegeheimen steige deshalb seit Jahren wieder an. Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ sei aus Sicht des BRK nicht mehr angemessen, er sollte in ein deutliches „ambulant und stationär“ umgewandelt werden, so Obermair. Auch die Ankündigung einer Investitionsförderung von jährlich 60 Millionen Euro pro Jahr für tausend neue Pflegeplätze sei fragwürdig. Die Förderung von Alten- und Pflegeheimen wurde durch die Staatsregierung 2004 komplett eingestellt. Das Bayerische Pflegeministerium sei zuletzt von einem Überangebot von stationären Pflegeplätzen ausgegangen. „Das BRK ist der Auffassung, dass diese Fördermittel vorrangig den Bestandseinrichtungen zugutekommen sollten, damit diese mit Hilfe einer staatlichen Förderung die vorhandenen Räumlichkeiten an die neuen gesetzlichen Anforderungen anpassen könnten.“ Obermair forderte einen konstruktiven Dialog aller Beteiligten, um auch mit unkonventionellen Lösungen alle anstehenden Fragen bewältigen zu können.
Adelheid Utters-Adam